Donnerstag, 17. August 2017

Interpol: Tage wie diese

Interpol
Support: Froth
Muffathalle, München, 16.08.2017

"I had seven faces
Thought I knew which one to wear
But I'm sick of spending these lonely nights
Training myself not to care
The subway is a porno
The pavements they are a mess
I know you've supported me for a long time
Somehow I'm not impressed
It is up to me now, turn on the bright lights."
(NYC)


Fünfzehn ist ja nun eigentlich kein Alter, auch nicht für eine Platte. Aber diese ist wie kaum eine andere eine New-York-Platte und weil New York bekanntlich nicht irgendeine, sondern die Stadt ist, gelten hier andere Maßstäbe. Denn die Zeit hat sich seit 2002, dem Jahr der Veröffentlichung von „Turn On The Bright Lights“, nicht nur, aber gerade dort deutlich beschleunigt, Bush und Obama sind längst Geschichte und die Gegenwart ist auch nicht berauschend. Aufgenommen kurz nach dem Fall der Zwillingstürme des World Trade Centers, verkörpert das Album wie kaum ein anderes die Dämmerphase der Vergegenwärtigung von Verletzlichkeit, Schmerz und Schutzbedürfnis der sonst so lebenshungrigen, stolzen Metropole und Interpol waren plötzlich die unfreiwilligen Chronisten dieses Umbruchs. Die in schwarz und rot getauchte Mischung aus Waverock und Post-Punk malte ein schauderndes, düsteres Bild vom Sehnsuchtsort; wo die Strokes kurz zuvor mit „Is This It“ noch Lässigkeit, Trotz und Selbstgewißheit verkauften, kamen Interpol nun mit Angst, Zweifel, Entfremdung und Hilflosigkeit. Unvergessen die frostige Einleitung „This one’s called Stella was a diver and she’s always down“ – die Platte zu mögen galt in Zeiten, da es noch kein Instagram, Twitter und Je-Suis-Irgendwas-und-Jedermann-Shirt gab, schon als Statement.



Dennoch war es ein Wagnis, an diesem Abend in die Muffathalle zu kommen, zumindest für die wenigen, die fünfzehn Jahre zuvor im Orange House des Feierwerks standen. Denn dort spielten Interpol ihre erste Münchner Show und dies nicht etwa vor ausverkauftem Haus mit über eintausend Gästen. Gut fünfzig Unerschrockene fanden sich damals, das mutmaßliche beste Album des Jahres zu hören – am Bass noch der bleiche, lang aufgeschossene Carlos Dengler, gekleidet in seine schwarze Ledermontur, abwesender Blick, unnahbar. Die gleiche Platte, ein anderer Ort, eine andere Zeit – genauso würde es gewiss nicht mehr werden. Was sicher auch daran liegt, daß sich Sound und Band selbst merklich gewandelt haben. Die Folgewerke, mit denen sie das Jubiläum des Debüts umrahmten, haben Stück um Stück einen Großteil der geheimnisvollen, majestätischen Aura verloren, Fogarinos Schlagzeug und Kesslers Gitarrenspiel wirken nun schablonenhafter und Banks‘ einst so dunkler, rauher Gesang klingt jetzt seltsam hoch und gepreßt.



Natürlich läßt sich der Zauber der alten Songs, beginnend mit dem markanten Einstiegs-Akkord von „Untitled“ bis hin zur ersten Zugabe „The Specialist“, immer noch ausmachen, die grenzenlose Melancholie ist da, die unnachahmlichen, konsequent auf Moll gesetzten Melodien ebenfalls. Dennoch wirken die aktuellen Interpretationen im Vergleich zu den Originalen etwas überproduziert und verwaschen, vom sperrigen LoFi der Gründertage ist nicht mehr viel zu vernehmen. Und trotzdem: „PDA“, „Hands Away“, „The New“ und vor allem „Leif Erikson“ bleiben unverwüstliche und unerreichte Erinnerungslieferanten, Stücke von dieser Eindringlichkeit waren selbst auf dem mehr als passablen Nachfolger „Antics“ kaum zu finden. Wie es zukünftig damit aussieht, ist schwer vorauszusagen, „El Pintor“, die erste Arbeit ohne den schmerzlich vermißten Taktgeber Dengler ließ eher Zweifel am kreativen Potential der drei verbliebenen Bandmitglieder aufkommen (und nicht ganz zu Unrecht verirrte sich mit „All The Rage Back Home“ nur ein Lied auf die Setlist dieses Abends). Der Qualität von „Turn On The Bright Lights“ tut das allerdings keinen Abbruch – es waren traurig-schöne Tage, damals vor fünfzehn Jahren.


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