Sonntag, 5. November 2017

King Krule: Freischwimmer

King Krule
„The Ooz“

(XL Recordings)

Auch heute, da das Internet das gesamte gesellschaftliche Leben schon komplett und unumkehrbar durchdringt und lenkt (nicht wenige meinen: in seinen Klauen hat), verwundert die Bereitwilligkeit, mit der Mitmenschen ihre Privatsphäre, ihr Intimstes und Innerstes dem voyeuristischen, ja gierigen Blick des Netzes preisgeben, sich angreifbar machen, bloßstellen und zwar ganz ohne jeden Zwang. Was den einen als vermeintlicher Quell der Selbstbestätigung normal und harmlos erscheint, empfinden andere als befremdlichen Leichtsinn, verstörend oder sogar bedrohlich. Interessant ist dabei nicht nur die Frage, wo die Grenze zwischen unterhaltsamem Mitteilungsbedürfnis und krankhafter Selbstdarstellungssucht verläuft, sondern auch, ob zwischen Kunst und Kommerz ein Unterschied gemacht werden muss. Womit wir bei Archy Marshall aka. King Krule wären. Natürlich ist nicht anzunehmen, daß der blassgesichtige Rotschopf mit der rostigen Stimme den Inhalt seiner Songs eins zu eins aus dem eigenen Lebenslauf übersetzt hat – ein Irrtum, dem sich bekanntlich viele Künstler ausgesetzt sehen.



Der Schluss aber liegt nahe, daß für die düstere Grundstimmung vieler seiner Stücke auf den beiden bislang erschienenen Alben „6 Feet Beneath The Moon“ und nun eben „The Ooz“ sehr persönliche, unmittelbare Erlebnisse ursächlich sind. Denn auch wenn Marshall seine Worte zu bildhaften, kryptischen Rätseln baut, wimmelt es darin doch von allerlei Dämonen, tieftraurigen Gestalten und bedrückenden Schatten, ist kaum je Trost zu finden. „I’m alone, I’m alone, in deep isolation, in the dead of night, in the dead of night“ („Locomotive“) – das schreibt gewiß kein vergnügter Teenager, dem Zeit seines jungen Lebens alle Türen und Tore offenstanden und der eine sorglose Kindheit vorweisen kann. Der würde sich sicher nicht sehnlichst die Rettung aus dem „kingdom of trash“ („Lonely Blue“) erträumen. Viel eher geht es hier um traumatische Erfahrungen der Jugend, auch in der eigenen Familie („Logos“), um die eigenen Unzulänglichkeiten, oft als Last und Ungerechtigkeit empfunden und Grund für Ablehnung und Benachteiligung („A Slide In (New Drugs)“) oder auch die wesensverändernde Wirkung von Drogen („Emergency Blimp“).



Mit dem Zauberer von Oz oder anderen Märchen hat das alles aber herzlich wenig zu tun, vielmehr greift Marshall im Titel der Platte auf seine musikalischen Anfänge unter dem Pseudonym Zoo Kid zurück und weiter auf eine Marotte seines Bruders, der seine eigene Band Words Backwards nannte – beides vermischt er nun im wörtlichen Sinne und liefert so eine weitere Anekdote. Andere kann der Hörer auf Umwegen beispielsweise in „Czech One“ entdecken, eine Anspielung auf tatsächlich vorhandene tschechische Wurzeln des Protagonisten, wild verdrahtet mit Marshalls Erinnerungen an eine Filmsequenz der Sopranos. Nicht nur hier kann man eine spielerische Lust an der Verquickung von Realität und Fiktion entdecken, die manchen Text in einem seltsam unscharfen Licht erscheinen lassen. Die dunkelgraue Kulisse und der eingangs erwähnte Ernst werden so wieder etwas relativiert. Kurz vor Schluss bei „Midnight 01 (Deep See Diver)“ gelingt Marshall der Freischwimmer im übrigen ganz ohne doppelten Boden, da meint man mit ihm zusammen aus dem Dunkel ans Licht zu steigen, um hernach im versöhnlichen Licht von „La Lune“ davonzutreiben.

Zum Sound des Albums noch ein paar Worte: „The Ooz“ ist ein wahres Kaleidoskop an verschiedenartigen Stilen, Färbungen, Klangwelten. Zuvorderst natürlich hauptsächlich vom Jazz und vom Pop geführt und geprägt, erlaubt sich der Junge dennoch mutige Ausflüge in Richtung Punk und Rockabilly, gehören neben den gewohnt verschleppten Beats und Loops auch kreischende Gitarren und dreckige Bassgrooves zum Repertoire („Vidual“, „Half Man, Half Shark“), alles dicht verschränkt und auf verblüffende Weise arrangiert. Gibt es hier mal die downgepitchte Stimme der befreundeten New Yorkerin Okay Kaya, anderswo den Gastauftritt des philippinischen Musikers Eyedress, ein paar gesampelte Lyrics von Billie Holiday und selbst der Vater des Künstlers meldet sich im letzten Drittel zu Wort. Komplex und ganz und gar nicht einfach zu haben das alles, King Krule ist weit davon entfernt, Musik als leichtgewichtiges Entertainment zu liefern. Insofern erübrigt sich die zu Beginn gestellte Frage nach mutwilligem Leichtsinn im Dienste der Kunst – dies hier ist Seelenarbeit der leidenschaftlichen Sorte. http://kingkrule.co.uk/

30.11.  Zürich, Rote Fabrik
01.12.  Köln, Bürgerhaus Stollwerck
03.12.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
04.12.  Berlin, Astra

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