Montag, 30. April 2018

Young Fathers: Kinder im Geiste

Na, wiedererkannt? Wer sich den neuen Clip zu "Toy" von den Young Fathers anschaut, hat mit Sicherheit auf Anhieb ein paar Namen auf dem Schirm, die der aktuellen Politik nicht sehr fern stehen. Die Frage nach dem größeren roten Knopf ist ja in den letzten Wochen sehr oft debattiert worden und auch wenn dieser Sandkastenstreit geradevon den aktuellen Geschehnissen etwas überholt wird, so bleibt es Fakt, daß die Weltgeschichte leider sehr oft von gefährlichen Männern geprägt wird, die im Geiste trotzige Kinder geblieben sind. Folgendes Statement des Regisseurs Salomon Ligthelm findet sich dazu bei Stereogum: "I found this comical image of Kim Jong Un in a crib playing with his toys and, when I heard “Toy” for the first time, that image came to mind immediately. The tone of the track is so visceral and abrasive, which I think marries the political subject matter perfectly. I honestly just really like the idea of seeing dictators behaving like spoilt little children – pissed with the world, because things aren’t going their way. Looking at the political climate of our time, I’d say truth is certainly stranger than fiction." Die Single stammt im Übrigen vom fabelhaften Album "Cocoa Sugar", das vor wenigen Wochen erschienen ist.

Isolation Berlin: Alles wird besser, nichts wird gut

Isolation Berlin
Support: Swutscher
Feierwerk, München, 29. April 2018

Jetzt, da man den Vergleich hat – was hat sich geändert bei Isolation Berlin? Das zweite Album, die zweite Tour, dazwischen ein Büchlein, vielleicht trifft es ja der Satz: Alles wird besser, doch nichts wird gut? Die Indierock-Kapelle aus der Hauptstadt, deren Sound so angenehm undefinierbar klingt und irgendwo zwischen Element Of Crime, den Fehlfarben und Rio’s Scherben pendelt, stand ziemlich genau vor zwei Jahren auf der gleichen Bühne, unterwegs mit dem Albumdebüt „Und aus den Wolken tropft die Zeit“. Beweisen mussten sie schon damals niemandem mehr etwas, die Platte war so großartig, die Songs so überwältigend und gefühlsmächtig wie selten welche davor und danach hierzulande. Und mittendrin ein verzweifelter, ein trauriger, rastloser Junge namens Tobias Bamborschke, der für seine Lieder brannte, aufgewühlt von Wehmut, Wut und Melancholie und gezeichnet von seinen grauen Gedanken und von der Einsamkeit einer Millionenstadt. Schon damals war Bamborschke mehr als nur der Sänger und Texter einer Band, er verkörperte das Empfinden vieler, die sich unverstanden, beiseite geschoben, überrollt wissen von Zeitgeist und medialem Overkill, die überfordert sind mit dem Leid und dem Hass um sie herum und so gar keinen Halt zu finden vermögen.

Wem das jetzt übertrieben vorkommt, der hat das zweite Album wahrscheinlich noch gar nicht gehört. Denn wenn der Erstling noch ein paar lichte Momente bereithielt, so ist „Vergifte dich“ nur noch schwer und dunkel – und dennoch oder gerade deshalb von anrührender Schönheit. Doch all das würde aufgesetzt und bemüht klingen, wäre Bamborschke nicht echt geblieben. Wie er von da oben sein teuflisches Grinsen in die Runde schickt, seinen Frust auskotzt, Selbstmitleid feiert und doch voller Lebensgier zu stecken scheint, das hat nicht Künstliches, das spielt er nicht, so ist er tatsächlich (oder macht es einen glauben). Ein Lob auf die Gifte, die die Tristesse erträglicher machen und alle Ängste betäuben, das Bekenntnis zur Lust ohne Liebe, zum Wahn und zur Suche nach dem letzten Kick, das Entsetzen über die Dummheit der Masse, über das öde, nichtssagende Blablabla – viel Schönes hört man nicht.



Und wenn, dann findet man es versteckt in den traurigen Zeilen. Dort, wo Bamborschkes Alter Ego Menschen trifft, die ähnlich ticken wie er selbst, die wie er „Antimaterie“ im Herzen tragen oder als „Prinzessin Borderline“ im Grenzgebiet zwischen Manie und Depression wandeln. Dass Ausgelassenheit häufig nur mit der Flasche in der Hand zu haben ist, gehört zu den Selbstverständlichkeiten, ein Grund, daß Bamborschkes Abend schon ein bisschen früher begann: Gemeinsam mit der schräg-amüsanten Hamburger Tanzkapelle Swutscher, die den Support der Tour besorgt, intonierte er deren Song „Bierstübchen“, ganz so, als wäre man schon beim Absacker in bierseliger Umarmung angekommen. Dieses Bild als kompletter Gegensatz zum abschließenden Encore: Bamborschke, nur von einer Gitarre begleitet, durchstreift für „Vergeben heißt nicht Vergessen“ allein das trauriges Jammertal einer zerbrochenen Beziehung: „Die Monate reichen sich lustlos die Hände. Mit todmüden Augen seh ich die Jahre vergehen. Es gibt kein zurück und ich komm nicht voran. Auf Sonne folgt Regen und dann fällt der Schnee.“ Nun, zumindest letzteres ist ihm an diesem lauen Vorsommerabend erspart geblieben.

Parquet Courts: Kampfbereit [Update]

Und noch eine gute Nachricht: Auch die Brooklyner Band Parquet Courts, zuletzt vor zwei Jahren mit ihrer Platte "Human Performance" ein Thema, legt nach. Am 18. Mai soll ihr nächstes Album "Wide Awake!" bei Rough Trade erscheinen, produziert hat im Übrigen Danger Mouse und die erste Single "Almost Had To Start A Fight/In And Out Of Patience" macht schon mal mächtig Spaß - so kann's weitergehen!

Update: Tut's ja auch - hier kommt schon der ebenso spitzenmäßige Titelsong. Und heute gleich noch hinterher die vertonte Suche nach einem neuen Gitarristen - haha. Move on!

04.07.  Berlin, Festsaal Kreuzberg
05.07.  Hamburg, Molotow
17.07.  Duedingen, Bad Bonn





Die Nerven: Magisches Dreieck

Die Nerven
Strom, München, 28.04.2018

Nein, dieser Vergleich würde wohl selbst dem bekennenden VfB-Fan Julian Knoth zu weit gehen: Das Stuttgarter Trio Die Nerven als das Magische Dreieck des Noise-Punk zu bezeichnen, ist vielleicht so platt wie weit hergeholt, aber das herausragende Zusammenspiel der Herren Elber, Bobic und Balakov Mitte der Neunziger im Trikot des schwäbischen Fußballklubs war zumindest ähnlich nahe an der Perfektion wie die Performance von Knoth, Rieger und Kuhn seit einigen Jahren auf der Bühne. Im Bewusstsein dieser außergewöhnlichen Stärke haben die drei von einiger Zeit sogar ein Live-Album aufgenommen – einen Schritt, den sich selbst weitaus gestandenere Bands dreimal überlegen, kann man damit doch auch großartig scheitern und die eigene Plattenfirma auf lange Zeit verärgern. Nicht so hier – das grandiose Doppelvinyl ist am Merch-Stand oft sogar schneller vergriffen als die nicht weniger gut gelungene, neue Platte „Fake“, wohl auch deshalb, weil die Band Abend für Abend das Versprechen, aktuell einer der besten deutschen Liveacts zu sein, einzulösen vermag.

Und tut das selbstredend auch im ausverkauften Münchner Strom. Und zwar mit nachhaltig beeindruckender Aufgabenteilung in eben jener Dreieckskonstellation: Max Rieger gibt, hochaufgeschossen und mit durchdringendem Blick, den leidenschaftlichen, den lauten Rufer, der mit seiner Gitarre im Gleichklang zuckend die Energie Richtung Publikum transferiert. Knoth wiederum am Bass mit teils eigentümlichen Tanzeinlagen erweist sich als erstaunlich humorvoll und gleichzeitig als wildes Kraftbündel, das von Zeit zu Zeit regelrecht explodieren kann. Und Schlagzeuger Kevin Kuhn, mit einer beneidenswert langen Headbangermähne gesegnet, rudert und haut mit ungezügelter Kraft auf sein Arbeitsgerät ein, als müsse er einen Stapel offener Rechnungen mit ihm begleichen.

Der Sound ist entsprechend mächtig, der Krach ohrenbetäubend und raumfüllend und hält doch, gerade bei den neueren Sachen, manch leichteren, fast tanzbaren Moment bereit (den die Jungs dann auch mit entsprechender Ironie so ankündigen). Ganz stark die beiden älteren Schlußstücke „Der letzte Tanzende“ und „Angst“ – Lärmkaskaden, düstere Noisewände, undurchdringlich, bedrohlich. Zwölf plus ein, ein erstaunlich kurzes Set zwar und am Ende leider kein Joy-Division-Cover. Trotzdem so intensiv, daß viel mehr davon ohnehin kaum zu ertragen gewesesn wäre. Giovane Elber, begnadeter Ballkünstler, Berufsbrasilianer und ein Drittel des eingangs erwähnten Urdreiecks, hat in der aktuellen 11Freunde über seine Zeit in Stuttgart gesagt, er und seine Kollegen hätten sich wie die Beatles in Liverpool gefühlt. Könnte sein, daß auch sein musikalischer Horizont dringend einer Neujustierung bedarf. Wir hätten da einen Vorschlag…


Samstag, 28. April 2018

Metallica vs. Spider Murphy Gang: Verdient viral

Bei manchen Sachen fragt man sich wirklich, warum sie viral gehen und was das für eine Welt ist, die solches schätzt und forciert. Anderen wünscht man es und hat dennoch keinen Erfolg damit. Und das hier muss man nicht mal kommentieren, es ist einfach nur lustig: Am Donnerstagabend haben Metallica in München ein Konzert gegeben und wie in jeder Stadt so führten sie auch hier ein besonderes Lied auf - naheliegend, "Skandal im Sperrbezirk" der Spider Murphy Gang zu wählen. Also bittesehr - Kirk Hammett (Gitarre) und Rob Trujilo (Gesang) plus der Chor der Tausenden.

Freitag, 27. April 2018

Kagoule: Back on track

Fast wollten wir das gelbe "Urth"-Shirt schon in die Kleidersammlung geben, weil so gar nichts mehr von Kagoule aus Nottingham kam nach der Single "Monsieur Automaton". Pustekuchen, sie haben gerade einen Deal mit dem Label Alcopop! Records abgeschlossen und just in dem Moment gibt es auch wieder neues Material zu hören, hier kommt also der neue Track "Bad Saliva". Noch besser - das Stück stammt vom nächsten Album "Strange Entertainment", das später in diesem Jahr erscheinen soll. Na, wer sagt's denn, vielleicht kommen sie ja auch bald wieder mal nach Deutschland auf Tour...



Bishop Briggs: Steampop

Bishop Briggs
„Church Of Scars“

(Island)

Über diese Platte gibt es viele ungewöhnliche Dinge zu sagen. Das fängt natürlich beim Pseudonym von Sarah Grace McLaughlin an, denn das, was nach augenzwinkernden Kirchenspott klingt, ist in Wirklichkeit dem Geburtsort der Künstlerin entlehnt, der kleinen Ortschaft Bishopbriggs, Vorstadt der schottischen Metropole Glasgow und, man möchte es ja nicht glauben, trotz der geringen Einwohnerzahl immerhin die Wiege zweier weiterer bekannter Musiker, namlich Amy Macdonald und Jack Bruce. Ganz so provinziell ist McLaughlin aber keineswegs geblieben, ziemlich bald ging es für sie in London, Hongkong und Japan weiter und heute lebt sie unter der Sonne Kaliforniens in Los Angeles. Weiterhin erstaunlich: Man würde niemals auf die Idee kommen, daß es sich bei „Church Of Scars“ um ein Debüt handelt – keine Unsicherheit, kein Zögern, kein Herantasten. Man hört wohl selten einen Erstling mit einer derartigen Präsenz, einem Behauptungswillen und einer Energie, die keine Zweifel und kein Zaudern kennt und bei dem jeder der elf Songs so präzise auf den Punkt geht.



Dass dieser Steampop, wollen wir ihn mal so nennen, so treffsicher daherkommt, liegt neben dem cleveren Songwriting vor allem an der bemerkenswerten Stimme der Mittzwanzigerin, sie transportiert in Färbung und Volumen so viel Power, so viel Grip, selbst in den leisen, getragenen Passagen ihrer Stücke spürt man eine Unnachgiebigkeit, ein Drängen, die vermuten läßt, es hier mit einer leidenschaftlichen Kämpferin zu tun zu haben. Und dabei klingen die Stücke nicht einmal sonderlich angestrengt, für ihre Mischung aus Blues, R’n’B, Soul und eben ganz viel Pop benutzt sie eine Vielzahl kluger Effekte, Beats und Soundideen. Und zwar beginnend mit der ersten Single „Wild Horses“ aus dem Jahr 2015 bis hin zum neuen „White Flag“. Wer will, kann ein paar der feinen Glitzerakkorde von The XX heraushören oder auch den stampfenden Electroblues des Wieners SOHN. Schade nur, daß es die INXS-Ballade „Never Tear Us Apart“ nicht in die engere Auswahl geschafft hat und so nun ein recht trauriges Dasein auf dem Weichzeichner-Soundtrack für Büro-Hipster „Fifty Shades Of Grey“ fristen muß. Diese Platte hier macht das keinen Deut schlechter, McLaughlin wird mit ihrer Dynamik mutmaßlich noch dann Lieder schmettern, wenn vom Blümchensex 3.0 alle schon die Nase voll haben. http://bishopbriggs.com/

Lowly: Sanfte Vereinnahmung

Oh, das geht so wunderbar soft in Richtung Gehörgang, daß es eine Freude ist. Und wenn dann noch die Stimme von Soffie Viemose einsetzt, ist es ohnehin um einen geschehen. Zu Soffie gehören übrigens noch Nanna, Thomas, Steffen und Kasper, sie nennen sich Lowly und haben im letzten Jahr ein fabelhaftes Album namens "Heba" veröffentlicht. Und nun also der neue Track "Wood", der uns so sanft umgarnt - und trotzdem am Ende das große Quietschen bekommt. Auch schön. Ein neues, weiteres Album ist in der Mache, so liest man bei Stereogum - wir warten.



Donnerstag, 26. April 2018

Margot: Nicht eben häufig

Das wird in England auch nicht anders sein - Frauen mit dem Namen Margot trifft man nicht an jeder Straßenecke. Daß hierzulande zwei von drei bekannten Margots schon unter der Erde liegen, konnten die Jungs ja nicht ahnen, die eine (Werner) war als bekannte Balletttänzerin und Sängerin ungleich beliebter als das lilagefärbte Monster (Honecker), das dem großen Staatsratsvorsitzenden diktatorisch zur Seite stand und hernach in Chile sein trauriges Restleben ohne viel Brimborium verbrachte. Von der rasenden Bischöfin wollen wir jetzt mal schweigen. Die Band aus London jedenfalls, um die es hier geht, hat ein Lied über die Desensibilisierung geschrieben (und meint damit sicher nicht die aufkommende Heuschnupfenzeit), "Desensitised" ist ein sehr melancholischer Popsong im Stile des leider momentan etwas ver(w)irrten Morrissey geworden und als gelungenes Debüt sehr willkommen.

Snail Mail: Erwünschte Beschleunigung [Update]

Wer sein Projekt Schneckenpost nennt und dann selbst Angst vor zunehmender Geschwindigkeit bekommt, der ist wohl selbst Schuld. Lindsey Jordan aka. Snail Mail, soviel ist sicher, wird das trotzdem nicht passieren. Denn die junge Dame aus Baltimore wirkt ziemlich selbstsicher und aufgeweckt und wenn nach Ankündigung ihres Debütalbums "Lush" für den 8. Juni via Matador ihre Karriere jetzt zunehmend Fahrt aufnimmt, dann wird sie das nicht sonderlich stören - sie hat es ja so gewollt. 2016 mit der EP "Habit" gestartet, ist jetzt einfach Zeit für mehr, deshalb gibt es zur Vorabsingle "Pristine" auch gleich ein paar Konzerttermine (leider noch ohne D-A-CH), man will ja schließlich nichts dem Zufall überlassen.

Update: Einen weiteren Track vom neuen Album schickt die Künstlerin mit "Heat Wave" in die Runde, im Video erwehrt sie sich einer Reihe grobschlächtiger Eishockeyburschen und muß dabei auch kräftig was einstecken.





Stephen Malkmus And The Jicks: Noch nicht Schluß mit lustig [Update]

Vier Jahre ist es her, da bat Stephen Malkmus, der schrullige Typ, der in früheren Zeiten der Indiekombo Pavement vorstand und später mit The Jicks gern auch mal in lässigen Shorts auf der Bühne erschien, zum letzten Tanz - "Wig Out The Jagbags" war ein großer, gut gespielter Spaß. Aber offensichtlich noch nicht das Ende, denn gerade hat der Herr quasi vom Rücken eines Pferdes einen neuen Song mit Namen "Middle America" geteilt, von dem man annehmen oder wenigstens hoffen darf, daß er die Veröffentlichung eines weiteren Albums einläutet.

Update: Tut er, tut er. Das gute Stück wird "Sparkle Hard" (Cover Art s.u.) heißen und am 18. Mai bei Domino Records. Weitere Erfreulichkeiten - für das Stück "Refute" hat sich Kim Gordon (Ex-Sonic-Youth) mit ins Studio begeben, den Track "Shiggy" gibt es u.a. bei Spotify zum vorhören. Ja, und live geht auch was, zumindest in zwei Städten. Und von der Coop mit Kim Gordon "Refute" gibt es wenigstens einen kurzen Schnipsel zu hören

29.10.  Berlin, Lido
30.10.  Köln, Stadtgarten






Mittwoch, 25. April 2018

ANMLPLNET: Machbares Dogma

ANMLPLNET
„Fall Asleep“

(Ba Da Bing!)

Dogmen! Wir lieben Dogmen! Also jetzt nicht so diese klerikalen Sachen mit Konzilen, Kreuzen und Ketzern, sondern eher so im künstlerischen Sinne. Die Dänen, genauer die dänischen Filmemacher um Lars von Trier und Thomas Vinterberg, hatten sich ja für ihre Arbeiten mal ein schönes Pflichtenheft ausgedacht, eine Art 10-Punkte-Plan, der mächtig viele Regularien und noch mehr Reibungspunkte kannte – lustigerweise hat sich fast keiner dran gehalten, aber man war erst mal im Gespräch. Ein paar solcher Sachen, wenn auch nicht ganz so krasse, haben sich jedenfalls Leah Wellbaum (Sängerin von Slothrust) und Drummer Mickey Vershbow für ihre Zusammenarbeit einfallen lassen, die Einhaltung sollte bei genauerer Betrachtung nicht so das große Problem sein - sinngemäß: “1. Trinke immer Absinth bei den Proben, 2. Ersetze nach Möglichkeit alle Worte deiner Texte durch ihr Gegenteil, 3. Bloß keine Pausen zwischen den Stücken – spiel alles am Stück, und 4. Je ungewöhnlicher ein Gig, desto besser, hab‘ Spaß!“ Machbar, wie gesagt.

Das erste Album des Duos aus Boston ist denn auch ein recht ungewöhnliches. Sechs Songs auf fünfunddreißig Minuten, mal in Überlänge, mal in überraschender Kürze, die Texte weird as much as they can – es ist für jeden was dabei. Wir hören psychedelischen Bluesrock mit gewaltigen Gitarrengewittern, Wellbaums Stimme schwankt zwischen zart und scharfkantig und die Dinge, von denen sie singt, sind selbstredend angemessen rätselhaft. Wie schon vor einigen Tagen bei Sebastian Lee Philipp’s Die Wilde Jagd geht es auch hier um geheimnisvolle Untiefen und irrlichternde Fantasien, allerlei Getier bevölkert die Szenerie (vom Schmetterling bis zum Elefanten ist alles dabei) und wer sich unter einvernehmlichem Verkehr mit einer Wolke nichts vorstellen kann, dem bleibt zumindest der erste Song textlich verschlossen. Nun ja. Der Sound ist etwas konventioneller geraten als beim Uhrwaldprojekt, klingt aber dennoch bemerkenswert dicht und vermag die Spannung auch bis zum Schluß zu halten. Gegen Ende wird es dann akkustisch beschwingt und all die Düsternis, die auch mit dem Coverbild von Ben Styer („A Horse Listens to the Forest ... Birds, Crickets, Frogs“) zuvor noch heraufbeschworen wurde, ist auf einmal verflogen – ein kurzes, aber unterhaltsames Vergnügen.

Petal: Kein Gegensatz [Update]

Anfangs hat man so seine Schwierigkeiten, die zarten Gesichtszüge von Kiley Lotz alias Petal mit dem rauen Gitarrenspiel übereinander zu bringen. Und merkt doch schnell, daß diese Sicht schon ziemlich altbacken ist - warum denn soll das denn nicht zusammenpassen? Lotz hat gerade, das ist der Grund der Überlegungen, ihr zweites Album nach dem Debüt "Shame" aus dem Jahr 2015 angekündigt, am 15. Juni soll "Magic Gone" bei Run For Cover erscheinen und mit "Better Than You" gibt es auch schon eine erste Single davon zu hören.

Update: Humor hat sie auch noch - hier das Video von Christopher Good und Andreina Byrne.

Mit Verwunderung nehmen wir zur Kenntnis ... [7/18]

... daß auch in Sachen Klassenkampf die Entscheidungen leider immer kurzatmiger getroffen werden. Denn wie anders wäre es zu erklären, daß sich die südkoreanische Führungsriege vor einigen Tagen plötzlich dazu entschlossen hat, die Beschallung der grenznahen Sicherheitszonen im Nachbarland Nordkorea einzustellen und die riesigen Lautsprecheraggregate, die ja nicht nur optisch einiges hermachen, einfach abzuschalten. Früher wurde dort der handelsübliche K-Pop als Propaganda über den Grenzstreifen geblasen und wenn man sich Tracht und Gesinnung des fürchterlichen Kim-Yong-Un und seiner Getreuen anschaut, dann war das rückblickend sicher nicht die schlechteste Entscheidung. Und im Übrigen eine mit großer Tradition. Denn auch zu Zeiten der DDR (für alle jüngeren Leser: verarmtes, sächsisches Hoheitsgebiet mit angrenzenden Provinzen 1949 bis 1989) hatte der sogenannte Dorffunk eine großartige Tradition, hier wurden mit Hilfe aufgestellter Sendemasten die Straßenzüge mit Nachrichten aus Feld, Wald und Flur und neuesten Sonderangeboten aus dem nahegelegenen Konsumstützpunkt (exkl. Bückware) zu schmissigen Hits von Keks, Prinzip, Karat und den Pudhys dargeboten. Da wußte jeder Bescheid und die Gerüchteküche samt Fakenews konnte dichtmachen. Randthema: Die Frage, was nun mit den riesigen Beschallungstürmen passiert? Nun, der Klang ist, wie man unten hören kann, nicht gerade erste Sahne, aber die Münchner Bassexperten Bene und Jakob von den Schlachthofbronx, die ja bekanntermaßen mit ihren wirkmächtigen Anlagen das Bauchgefühl zu stärken wissen, wären sicher die geeigneten Ansprechpartner für ein kluges Upcycling-Projekt.

Dienstag, 24. April 2018

A Place To Bury Strangers: Nicht um jeden Preis

A Place To Bury Strangers
„Pinned“

(Dead Oceans)

Ein Kompliment ist das ja nun nicht gerade, was man da so liest. Die New Yorker Kapelle A Place To Bury Strangers wurde offenbar Zeit ihres Bestehens dafür verehrt, als unhörbar zu gelten. Markenzeichen und Schlüsselmerkmal war also die Erzeugung infernalischen Lärms, der unvorbereitete Konzertbesucher panisch das Weite suchen ließ wie in den Anfangstagen der legendären The Jesus And Mary Chain. Unberücksichtigt blieb dabei offenbar die Fähigkeit, Struktur und Substanz in die Noiseorgien zu verbauen, gerade auf den letzten beiden Alben „Worship“ und „Transfixation“ trat ja genau diese Eigenschaft stärker als zuvor zu Tage. Und nun, da Sänger und Gründer der Band Oliver Ackermann verkündet, Krach um des Kraches Willen sei seine Sache nicht mehr, ist alles am Schmollen: “I couldn’t make too much noise, couldn’t disturb my neighbors“, sagte er kürzlich dem Magazin Spectrum Culture, “I would just sit there and write with a drum machine. It had to be about writing a good song and not about being super, sonically loud.”



Die eigene Firma Death By Audio den Bach runter, die Pegel nach unten gedreht – da kann ja nix Gutes mehr kommen, so die weitläufige Meinung. Weit gefehlt. Denn die neue Platte hat ein Merkmal zurückgewonnen, daß so nur zu Zeiten des Debüts der Formation zu hören war: „Pinned“ klingt vielleicht nicht mehr ganz so krass und ohrenbetäubend, aber deutlich mehr nach DIY, der Sound ist weniger clean und ausproduziert, sondern kommt rougher, dreckiger, organischer daher. Klar geht die Band den Weg, der momentan vielen als lohnenswerte Neuausrichtung gilt, der Post-Punk ist in aller Munde, wird aber selten so konsequent umgesetzt wie hier. Daß Lia Simone Braswell mit an Bord ist, die ja auch schon bei den Le Butcherettes trommelte, ist dabei sicher kein Fehler, ebensowenig, daß sie sich die Planstelle mit einem Drumcomputer teilen muß.



Denn der läßt den Sound von APTBS nicht nur nach den üblichen Referenzgrößen Joy Division und New Order klingen, sondern pluckert ebenso schön und dumpf wie zu Zeiten von Alan Vega und Martin Rev bei Suicide. Man meint, die Platte wäre tatsächlich mit uralter Technik in einer staubigen Kellergruft aufgenommen und mit ebenjenem Empfinden haben die drei auch gleich die passende Kulisse als Hintergrund für ihre düsteren Texte über Paranoia, Zerstörung, Endzeitstimmung, Hoffnungslosigkeit projiziert. Ein bedrohlicheres Gemisch läßt sich wahrlich kaum vorstellen, die schockgefrosteten Beats rucken und rumpeln herrlich unrund zu kreischenden Gitarren oder dronigen Synths und ganz am Ende („Keep Moving On“) darf sogar der ehrwürdige Fad Gadget noch mal als Blaupause herhalten. Es gibt wahrlich keinen Grund, das zu bedauern. https://aplacetoburystrangers.bandcamp.com/

24.04.  Winterthur, Salzhaus
28.04.  Dortmund, FZW
07.05.  Berlin, Bi Nuu
08.05.  Hamburg, Logo

Mystery Art Orchestra: Vor Ort gefischt

Daß Post-Punk noch immer das Ding der Stunde ist, kann man an jeder Häuserecke hören. Und bevor wir wieder in internationalen Gewässern fischen gehen, legen wir kurz im Heimathafen an und möchten dort auf eine Perle verweisen, die zu heben die Mühe durchaus lohnt. 2012 wurde in Berlin die Band Mystery Art Orchestra gegründet und zwar von Sänger und Gitarrist Tino Bogedaly. Ziemlich fix gesellten sich ihm Keyboarder André Wlodarski und Bastian Müller an den Drums zur Seite. Nach einer Zeit erfolgreichen Tourens durch Portugal, England und Deutschland steht nun endlich für den 25. Mai die Veröffentlichung des Debütalbums "Prismatic Dream" auf dem eigenen Label robojim an, neben dem etwas älteren Stück "Sunday Afternoon" gibt es hier die Vorabsingle "Awake" zu hören.

12.05.  Brandenburg, Haus der Offiziere - Record Release



Montag, 23. April 2018

Die Wilde Jagd: Verführung

Die Wilde Jagd
„Uhrwald Orange“

(Bureau B)

Was das nun wieder ist? Keine Ahnung. Egal, so lange es so gut klingt. Nun, ganz so einfach sollte man sich das vielleicht auch wieder nicht machen, denn wer in den letzten Jahren etwas aufgepasst hat, dem sind zumindest die folgenden beiden Namen ein Begriff. Sebastian Lee Philipp zunächst als studierter Songschreiber und Multiinstrumentalist, Hälfte des Elektropop-Duos Noblesse Oblige, der unter dem Pseudonym Die wilde Jagd 2015 das gleichnamige Debüt veröffentlichte. Und zwar gemeinsam mit dem kongenialen Partner Ralf Beck, Herr über tausendundeins Soundeffektgerätschaften und ausgestattet mit der Schlüsselgewalt über das Berliner Tonstudio Uhrwald Orange. Dorthin genau hatte sich Philipp vor einiger Zeit zurückgezogen, um seinen wilden und durchaus ungewöhnlichen Ideen Raum zu geben, zu basteln, zu schrauben – und fand wiederum in Beck den passenden, weil erfahrenen Produzenten, der nunmehr nicht als Mitstreiter fungierte, sondern dem Werk eher die Richtung, Tiefe und technische Brillanz verpaßte, mit dem es jetzt zu begeistern vermag.

Stilistisch läßt sich das Ganze sehr schwer eingrenzen, Goth-Trance, Urkrautrock, psychedelischer Synthpop, es gibt ja kaum ein Genre, daß Philipp nicht zu kreuzen bereit ist und selbst mit dem Fingerzeig des Labels, er habe sich zu gleichen Teilen von dem Gemälde „Tiere der Nacht“ des flämischen Malers Frans Snyders und dem spätmittelalterlichen, katalanischen Liederzyklus „Rotes Buch von Montsserat“ inspirieren lassen, läßt sich herzlich wenig anfangen. Es führt einen nun noch weiter in den labyrinthischen Kosmos des Künstlers hinein, bevölkert von sagenhaften Wesen, Weisen und Texten und vertont mit einer Vielzahl verschiedenster Klangfarben auf der reichhaltigen, dunkelbunt schillernden Arbeitspalette. Man möchte Begriffe wie „Mantra“, „Sog“ und „hypnotisch“ nicht über Gebühr strapazieren, hier aber sind sie so treffend wie selten angebracht, weil den acht Stücken des Albums genau das zuteil wurde, was anderswo oft fehlt: Zeit.

Philipp läßt ihnen tatsächlich sehr viel Raum zum Wachsen, schon der erste Track „Flederboy“, instrumental wie der Großteil des Albums, bekommt mehr als eine Viertelstunde, um sich einzuschwingen. Das Ergebnis ist, wie auch im weiteren Verlauf des knapp achtzigminütigen Werkes, schlicht und wortwörtlich berauschend, die Fülle an Geräuschen, komplexen Schichtungen, Instrumentierungen, die Dreingabe von Chorälen, rätselhaften, teils mytischen Rezitativen und Textfragmenten ist so kunstvoll geraten, daß man sich gern in diesen rhythmischen Malstrom hineinziehen läßt. Denn hier liegt die zweite Qualität von „Uhrwald Orange“ – der organisch anmutende Vibe, Groove, Beat (you name it) ist zwingend, verführerisch, ja ausweglos. Zuweilen erinnert das auch an den Erstling der Schwedin Karin Dreijer Andersson aka. Fever Ray (die ja mittlerweile eher in Richtung Tanzmusik unterwegs ist), wobei die Esoterik hier noch durch mittelalterliche oder auch alttestamentarische Bezüge ergänzt wurde.

Etwas düster ist das natürlich schon, wenn die „Säuregäule“ oder „2000 Elefanten“ durch eine „Fremde Welt“ stampfen, wo fahlen, zerbrechlichen Wesen das Blut durch des Ginsters Gift gefriert – aber es ist nicht die krankhaft irre Endzeitkulisse eines Hieronymus Bosch, die das Bild bestimmt. Eher ein Tagtraum, ein Trugbild, dem man übernächtigt und hochkonzentriert folgt, voller Neugierde, was sich bei all dem geheimnisvollen Raunen, Knirschen und Rauschen wohl hinter der nächsten Biegung erhebt. Philipp hat das Beck’sche Studio als Abenteuerspielplatz für seine Fantasie genutzt und mit dem vorauseilenden Schauder kindlicher Entdeckerfreude verknüpft: „Ich will die Studiogeräte zum Singen bringen und eine Klangwelt erschaffen, in der jeder Ton und Effekt eine Stimme bekommt. Eisenschellen werden zu Hufgetrappel, Synthesizerklänge zu Krähenrufen und der Plattenhall zu Donner. Alle Elemente wurden so zu den Einwohnern und Naturmächten des Uhrwalds Orange.“ Wir wären verrückt, wollten wir ihm nicht folgen.

12.06.  Berlin, Berghain Kantine
13.06.  Hamburg, Club!heim
14.07.  Düsseldorf, Open Source
29.07.  Wien, Creau
25.08.  Schwabmünchen, Singoldsand Festival

Janelle Monáe: Ganze Sache [Update]

Mutti hat immer gesagt: "Sag erst was, wenn's was zu sagen gibt!" Gut, haben wir uns nicht immer dran gehalten, hier aber schon. Denn die Nachricht, daß die zauberhafte Janelle Monáe eine neue Platte mit dem Titel "Dirty Computer" plant, ist schon ein paar Tage alt, aber so viel mehr als eben diese Meldung lag bislang nicht vor. Bis heute. Nun haben wir für den Nachfolger von "The Electric Lady" aus dem Jahr 2013 Coverart, Veröffentlichungstermin (27. April) und ganze zwei ziemlich heiße Videos zu den Vorabsongs "Make Me Feel" und "Django Jane". Na, wenn das nichts ist...

Update: Und nun, nach "Make Me Feel", "Django Jane" und "PYNK" als letzter Song im Bunde das Video zu "I Like That".





Freitag, 20. April 2018

Sleaford Mods: Coming Of Rage

Den 8. Juni werden sich viele Menschen sehr fett im Kalender anstreichen, denn dann endlich kommt in den Handel, was zuvor bei zahlreichen Live-Screenings und im TV auf Arte zu sehen war und mit Recht den letztjährigen Q-Award für den besten Musikfilm gewann - "Bunch Of Kunst", die mitreißende Dokumentation über die Sleaford Mods aus Nottingham, eine der erstaunlichsten Coming-of-Rage-Stories der letzten Jahre über eine der besten Livebands der Jetztzeit. Wer den Film von Christine Franz gesehen hat, der weiß, daß hier keineswegs übertrieben wird, wer die Mods jemals on Tour erlebte, ist ihnen ohnehin schon hoffnungslos verfallen. Vorbestellbar ist der Silberling momentan schon bei Cargo Records und kommt dort zusammen mit einem Mitschnitt des zuvor schon veröffentlichten Konzerts aus dem Berliner SO36 in den Verkauf. Go for it!

An dieser Stelle auch gern noch mal der Hinweis auf unser Interview mit der Regisseurin des Films - hier.

Donnerstag, 19. April 2018

Courtney Barnett: Wütend genug [Update]

Dass das Cover bei weitem nicht der wichtigste Teil eines Albums ist, das wollen wir gerne zugeben - und vor allem Courtney Barnett gern zugestehen. Die hat ja letzte Woche schon ein wenig herumgeteasert und ist dann heute endlich mit Fakten um die Ecke gekommen: "Tell Me How Do You Really Feel" wird die Platte heißen (VÖ: 18.05.) und wenn man in der Songlist stöbert, kann man relativ schnell erahnen, daß hier kein Kindergeburtstag besungen werden soll - "I'm Not Your Mother, I'm Not Your Bitch" heißt ein Stück, "Hopefulessness" ein anderes und auch in den Lyrics zur ersten Single "Nameless, Faceless" geht es recht deutlich zur Sache: "Don't you have anything better to do, I wish that someone could hug you, must be lonely, being angry, feeling over-looked. You sit alone at home in the darkness with all the pent-up rage that you harness, I'm real sorry bout whatever happened to you." Klingt gerade so, als dürften wir uns wieder auf eine wütende junge Frau mit einer Menge guter Songs freuen. Ach so - wer Lust hat, der Künstlerin ein paar Zeilen zu seinen eigenen Gefühlen zu schicken, vielleicht auch zur Frage, mit welchem Song er/sie diese verbindet, kann das gern auf ihrer Website tun: https://courtneybarnett.com.au/

11.06.  Berlin, Astra Kulturhaus
13.06.  Köln, Live Misic Hall

Update: And now she is floating in space - das Video zur Single "Need A Little Time" mit Klingonen-Lookalikes. Für das aktuelle "City Looks Pretty" wiederum sollte man nicht allergisch auf schnelle Schnitte reagieren...





Bilk: Geradeaus

Zur allgemeinen Auflockerung jetzt mal etwas, was der geübte Leser, der ja in der Regel auch ein geübter Hörer ist, sofort als urbritisch erkennt: Bilk sind drei Jungs aus dem südenglischen Essex und haben gerade ihre zweite Single "Spiked" geteilt, sie folgt dem Debüt "Give Up". Der Sound von Sol Abrahams (Gesang/Gitarre), Luke Hare (Bass) und Harry Gray an den Drums ist einfach und geradeaus und pendelt sich irgendwo zwischen den Arctic Monkeys, The Jam und The Streets ein. Den Bandnamen hat übrigens Sol's Vater, von Beruf Taxifahrer, beigesteuert, der Begriff ist ein Slang-Ausdruck ('getting bilked') für einen Fahrgast, der ohne Bezahlung flüchtet.

Get Well Soon: Seid willkommen, böse Träume

Hatten wir eigentlich schon erwähnt, daß auch unser aller German Wunderkind Konstantin Gropper aka. Get Well Soon ein neues Album am Start hat? Das letzte - "Love" der Titel, ist bekanntlich 2016 erschienen und wenn es stimmt, was man so liest, dann wird sich das neue maßgeblich vom Vorgänger unterscheiden. Denn auf "Horror", so das kommende Werk, hat Gropper drei seiner Albträume verarbeitet und zwar mit eher orchestralem Sound: "Ich freue mich ... über einen bösen Traum. Ich träume so selten spektakulär, dass solche Alpträume für mich wie Inspirationsgeschenke sind. Ich wache auf und denke: daraus muss ich einen Song machen." Zwölf davon finden wir nun auf der Platte wieder, die am 8. Juni bei Caroline Records erscheint, zum Anteasern hat der Künstler zwei Episoden einer Therapiesitzung ins Netz gestellt - viel Spaß damit.

10.08.  Hamburg, Elbphilharmonie
01.10.  Berlin, Volksbühne
08.10.  München, Kammerspiele
12.10.  Leipzig, Westbad
17.10.  Köln, Philharmonie
28.10.  Stuttgart, Theaterhaus



Lykke Li: Traurigkeit ist sexy [Update]

Stimmt, gelernt hat sie nichts. Zumindest nicht, wie man das Leben etwas leichter angeht: Die Schwedin Lykke Li nannte ihr letztes Album "I Never Learn" und darauf fanden sich sehr traurige Popsongs (Beispiel unten "Love Me Like I'm Not Made Of Stone") - nicht erst mit dieser Platte waren diese zu ihrem Markenzeichen geworden. Geändert hat sich daran offenbar wenig, denn gerade teilte die junge Frau aus dem Wallander-Ort Ystad einen Teaser mit dem Titel "So Sad So Sexy". Anzunehmen, daß es sich dabei um den Namen ihres neuen Albums handeln könnte, nach ein paar Kollaborationen mit namhaften Künstlern ihres Heimatlandes wäre auch mal an der Zeit für ein neues Solo. Und das läßt sich, hört man sich die ersten anderthalb instrumentalen Minuten an, ziemlich düster an.

Update: Gleich zwei neue Songs gibt es jetzt, "Hard Rain" und "Deep End" im Audio-Stream, plus Cover-Art - was will man mehr.



Mittwoch, 18. April 2018

Ganser: Das Glück der Verweigerung

Ganser
„Odd Talk“

(No Trend Records)

Spätestens mit der Single „Pyrrhic Victory“, erschienen im September 2016, war klar: Das hier könnte eine neue Lieblingsband werden. Allein der Name: Hergeleitet aus einem psychischen Krankheitsbild, das man auch unter der Umschreibung „hysterischer Dämmerzustand“ findet – gar nicht lustig, aber angemessen schräg und natürlich maximal befremdlich. Dann der Song selbst: Flatternder Bass, Gitarre und Gesang wiegen sich in bester Post-Punk-Manier, verschroben und eingängig zugleich, Volltreffer. Später die dazugehörige EP „This Feels Like Living“, gefolgt von einer Geduldsprobe – warten. Bis jetzt. Und schlußendlich Erleichterung. Und zwar über einen Entscheidung, die nur auf den ersten Blick widersinnig erscheint.



Denn auf dem Debütalbum findet sich kaum ein Stück, das annähernd solche Harmonien wie die besagte  Erfolgs-Single aufweist. Das Quartett aus Chicago hat bewusst auf jegliche Glättung verzichtet, nicht von ungefähr erinnern die Songs auf „Odd Talk“ eher an den indifferenten No-Wave von Sonic Youth. Der Sound ist schroff, meistenteils analog, die Gitarren scheppern und splittern, Ruhepunkte sind nur wenige auszumachen. Die drei Vorabsingles in Folge geben dafür ein gutes Beispiel – „Satsuma“ klirrt zu mächtigen Drums, bei „PSY OPS“ dann schneller Punk, gemischt mit Sprachsamples und taumelnden Vocals, „Avoidance“ wiederum bekommt eine sparsame Synthgrundierung, es bleibt dennoch hart, hektisch, ruhelos.



Haben sie sich mal wie bei „Aubergine“ auf ein gefälligeres Thema eingelassen, wird dieses kurz darauf wieder lustvoll zerstört, man hat tatsächlich den Eindruck, daß eine der Triebfedern für die Platte die Flucht vor übermäßiger Ausgewogenheit war. Denn was sperrig ist, entgeht der Vereinnahmung, bleibt widerständig, authetisch. Und auch für die Fans hat diese kreative Art der Verweigerung etwas Gutes, die Gefahr, daß Alicia Gaines, Nadia Garofalo, Brian Cundiff  und Charlie Landsman demnächst durch die üblichen Latenight-Shows oder smarte Indieprogramme gereicht werden, ist überschaubar, man wird Ganser auf längere Zeit für sich haben. Und das ist ein weiterer Grund, dieses Album in höchsten Töne zu loben. Gewöhnliches können gern andere hören. https://ganser.bandcamp.com/



Slow Mass: Keinen Abbruch

Naja, der schöne Wortwitz ist jetzt perdu: Als wir Slow Mass, Hardcore-Kapelle aus Chicago vor zwei Jahren mit ihrer Debüt-EP "Treasure Pains" hier vorstellten, spielten da noch Josh Parks und Josh Sparks zusammen.. Letzterer hat die Band laut Stereogum in Richtung Minus The Bear verlassen, als Ersatz konnte Dave Maruzzella für die Drums gefunden werden. Der Motivation hat das keinen hörbaren Abbruch getan, für den 11. Mai ist nun das erste Album "On Watch" via Landland geplant und mit "Schemes", "Blocks" und dem aktuellen "Oldest Youngest" gibt es gleich zwei Vorboten davon auf die Ohren. Und an Spaß und Bissigkeit haben sie, wie man bei Cover und Bandfoto erkennen kann, auch nichts verloren.

Iceage: Dringliche Zusammenfassung [Update]

Zu den dänischen Iceage gab es in den letzten Tagen eine Reihe von Updates, die dringend in einem neuen Beitrag zusammengefasst gehören: Schließlich reden wir jetzt von einem neuen Album namens "Beyondless", zum dem mittlerweile auch ein VÖ-Termin (4. Mai via Matador Records) und die schön gestaltete Verpackung (s.o.) vorliegen, dazu nach der Vorabsingle "Catch It" auch die beiden Folgestücke "Pain Killer", eingesungen mit Popsternchen Sky Ferreira und (ganz aktuell) "Take It All" - dazu noch ein paar zusätzliche Livedaten zu dem bislang für Mai gemeldeten Berlin-Gig. Schöne, runde Sache, das.

04.05.  Berlin, Privatclub
31.08.  Hamburg, Off Radar Festival
12.09.  Köln, Blue Shell
13.09.  Heidelberg, Karlstorbahnhof
15.09.  Berlin, Bi Nuu
03.11.  Zürich, Rote Fabrik

Update: Die dritte Vorabsingle aus dem neuen Album ist da, und feiert "The Day The Music Dies".





Let's Eat Grandma: Ganz Ohr [Update]

Auf den Moment haben wir ehrlich gesagt schon länger gewartet: Eine Band mit diesem Namen, die noch dazu lupenreinen, gut durchdachten Pop spielt, hat man schließlich nicht alle Tage. Let's Eat Grandma aus dem britischen Norwich überraschten mit ihrem Debüt "I, Gemini" im Sommer 2016 nicht eben wenige Leute, noch mehr hoffen nun, daß auch der Nachfolger von ähnlicher Qualität ist. Geht es nach den beiden bislang bekannten Vorabsingles, dann sollte daran kein Zweifel bestehen. Rosa Walton und Jenny Hollingworth werden also am 29. Juni "I'm All Ears" bei Transgressive Records veröffentlichen, nach "Hot Pink" kam gerade die neue Nummer "Falling Into Me" um die Ecke. Live werden die beiden ebenfalls bald zu hören sein - und wir? Sind ganz Ohr.

Update: Und hier nun noch die dritte Single "It's Not Just Me" - im schicken Facettenstyle!

20.04.  Köln, Schauspiel
21.04.  Berlin, Urban Spree
22.04.  Hamburg, Uebel und Gefährlich





The Brian Jonestown Massacre: Later this year

Aber das war noch lange nicht alles. Denn auch The Brian Jonestown Massacre werden bald wieder mit neuem Material auf Tour gehen. Für den 1. Juni haben Cargo- und a Records eine Platte namens "Something Else" angekündigt, von dieser wiederum wird am 18. Mai die Single "Hold That Thought" (mit der B-Seite "Drained") ausgekoppelt. Aufgenommen in Berlin, wird es auf dem Album ganze neun neue Songs geben, Ende April startet die Reise durch Nordamerika, Anfang April ist dann Australien an der Reihe. Und Europa - "later this year". Und noch schöner - es ist von zwei neuen Werken in diesem Jahr die Rede. Gab schon schlechtere Nachrichten...

Dienstag, 17. April 2018

The Sea Atlas: Einsames Ringen

Klar, das mit den Hebriden, den Nordzipfel Schottlands und dem kleinen Örtchen Uig kann man sich natürlich nicht entgehen lassen - 400 Einwohner und einer davon ist jener Calum Buchanan, der Mann also, der sich hinter dem Projekt The Sea Atlas verbirgt. Seine Agentur schreibt dann vollmundig Sachen wie "... skippers boats up and down the West coast of Scotland, works the land on his croft, and during the storms on the island [Buchanan] writes his music on the cabin on the shores of the sea loch." Das klingt nun wirklich nach der perfekten Nordmann-Story, nach rauher See, kargem Land, großer Einsamkeit und endlosem Ringen mit Dämonen und Musen. Würden dabei aber keine guten Songs entstehen, wir könnten uns die ganze Einleitung sparen - so aber kündigt der Mann gerade eine neue EP an und zwar zum einen mit dem schon ziemlich beeindruckenden Grungefolk "Ripped Jeans" und einem Bee-Gees-Cover (!) von "Staying Alive". Auf solche Ideen kommt man wohl nur, wenn man sehr lange keine oder keine anderen Menschen trifft - dennoch, er macht seine Sache gar nicht so übel.



Jonathan Bree: Anhaltender Zauber

Wer sich diesem Song und Video schon im vergangenen Jahr nicht entziehen konnte, wird sich über folgende Nachricht freuen: Am 8. Juni wird Jonathan Bree sein drittes Album "Sleepwalking" bei Lil' Chief Records veröffentlichen, darauf zu finden eben auch sein - nun ja: Hit "You're So Cool". Und mit "Say You Love Me Too" (zusammen mit Clara Vinals) und "Valentine" die beiden weiteren bislang bekannten Titel des neuseeländischen Multiinstrumentalisten. Eine Tour ist, soviel sei verraten, für die Monate und September in Aussicht gestellt.



Bryde: Der richtige Weg

Bryde
„Like An Island“

(Seahorse Music)

Eine überstrapazierte Binse lautet, daß jeder und jede seine Bestimmung im Leben findet, nur die Wege dahin können manchmal ziemlich verworren und schwer nachvollziehbar sein. Selbiges gilt wohl auch für die Waliserin Sarah Howells. Gut möglich, daß sich jetzt nicht wenige an diesen Namen erinnern, ebenso gut möglich, daß die Hinweise aus völlig verschiedenen Lagern kommen. Denn Howells kann auf eine ziemlich bunte Künstervita verweisen: Einerseits hat sie zusammen mit Richard Llewellyn bei den Paper Aeroplanes einige hübsche Folkpop-Alben eingespielt, desweiteren hat sie mit ihrer Stimme mehrere Trance-Techno-Stücke gefeatured. Soweit dazu. Nun will man ihrem früheren Werk nicht zu nahe treten, aber man würde sich und natürlich auch ihr doch sehr wünschen, daß sie mit dem neuerlichen Kurswechsel unter dem Pseudonym Bryde ihre Bestimmung gefunden hat. Nicht deshalb, weil man des Folgens müde wäre, sondern weil die Musik, die Howells jetzt macht, die bislang reifste, spannendste und anspruchsvollste ihrer Karriere ist.



Die vorliegende Platte, man darf sie wohl als Solodebüt bezeichnen, gibt sich deutlich härter und leidenschaftlicher als die gemeinschaftlichen Vorwerke, und was sich in diversen EP und Singleveröffentlichungen der letzten Monate andeutete, findet auf „Like An Island“ sein gutes Ende. Grunge-Gitarre rules, ab und an fallen Namen wie Patti Smith, Feist oder Cat Power – ob diese Vergleiche nun überzogen oder berechtigt sind, steht auf einem anderen Blatt, Sound und Wandlungsfähigkeit jedenfalls überzeugen schon mal. Auch wenn Bryde mit „Euphoria“ noch etwas behutsam startet, die folgenden Stücke „Less“, „Flesh, Blood And Love“ und „Peace“ zählen zweifellos zu den Höhepunkten von Howells‘ Songwriting, ebenso wie die Balladen „To Be Brave“ und „Transparent“. Für den neuen Klang der Songs nicht ganz unerheblich war sicher die Zusammenarbeit mit Catherine Marks und Mandy Parnell, die auch schon für Wolf Alice, PJ Harvey, Brian Eno und Björk gemischt und produziert haben.

Eine Pointe hat uns Howells dann aber doch noch genommen. Denn es gibt tatsächlich eine ziemlich winzige Insel namens Bryde, gelegen im Gletschergebiet des antarktischen Grahamlandes. Doch auch wenn das zum Titel und zu den Lyrics ihrer Lieder ganz gut passen würde, so bezieht sich das Pseudonym, wie man liest, wohl doch auf die dänische Bedeutung dieses Wortes und die meint damit schlicht Unterbrechung oder Pause. Neben der Arbeit am eigenen Projekt unterstützt Sarah Howells im Übrigen auch andere Frauen mit ihrem selbstgegründeten Label: “Initially I wanted to elevate the profiles of the musicians around me. There are a lot of women rising to the top, but there’s still a lack of opportunities for them to work in the music industry. I thought a way to tackle that would be to start a label; to become someone in the music industry to create that change, rather than expecting other people to do it for me”, sagte sie kürzlich dem Online-Portal NARC. Wenn wir also schon bei Binsen sind – „Selbst ist die Frau“ paßt selten so gut wie hier – sie scheint ihre Pause höchst schöpferisch genutzt zu haben.

08.05.  Hamburg, Astra Stube
09.05.  Berlin, Kantine Berghain
10.05.  Köln, Yuca Club
12.05.  Zürich, EXIL
13.05.  Wien, B72

Montag, 16. April 2018

Lazy Legs: Mischungsverhältnis

Lazy Legs
"Tremor EP"
(Wild Patterns)

Dem Shoegazing wird gern mal eine gewisse Monotonie nachgesagt, Menschen, die es noch weniger gut meinen, sprechen dann von Langeweile. Jeder, der das Genre mag, weiß, daß dies ein großer Quatsch ist, einerseits. Denn die Monotonie gehört zur Kunstform dazu, das Aufschichten von dröhnenden Gitarrenakkorden in Endlosschleife zu dem, was der Liebhaber die wall of sound nennt, ist ohne Wiederholungen gar nicht denkbar und kann erst so seine hypnotische, überwältigende Wirkung entfachen. Und wer genau hinhört, entdeckt sehr wohl Unterschiede, Feinheiten, verschiedene Stilrichtungen. So auch beim Duo Lazy Legs aus Portland. Laura Wagner und Michael Tenzer vermengen seit 2016 mit Vorliebe Noise, Grunge und Dreampop auf  ihre ganz speziellen Art, die sechs Stücke der aktuellen EP „Tremor“ sind je nach Mischungsverhältnis mal melodischer, mal ungestümer geraten und haben alle ihren Reiz. Nachdem das Intro „Ruby“ noch komplett instrumental einzählt und bewusst schief daherkommt, spielen sich bei den folgenden vier Stücken die Gitarren mal mehr, mal weniger in den Vordergrund – das wunderbare „High Wire“ beleiht so auffällig wie gekonnt die No-Wave-Ikonen Sonic Youth, der Gesang, den beide beisteuern, ist wie so häufig bei Shoegazing-Formationen, nicht mehr als eine flüchtige Textur und kein bestimmendes Element. Live, so hört man, nehmen sich die beiden gern auch noch einen richtigen Drummer mit auf Tour, hoffentlich darf man das auch mal hierzulande erleben – die Platte jedenfalls würde es auf jeden Fall hergeben.

Sonntag, 15. April 2018

Heavy Lungs: Unter freundlicher Mithilfe

Schön, wenn man sich kennt und schätzt, da ist für Überschneidungen der folgenden Art genügend Platz: Die Punk-Kapelle Heavy Lungs aus Bristol hat in ihrer Heimatstadt offenbar einen Buddy, der auch uns hier recht vertraut ist. Denn wer kennt nicht den glatzköpfigen und rauschebärtigen Adam Devonshire, Bassist der hoch verehrten Idles. In seinem Nebenjob ist dieser offenbar unter dem klangvollen Künstlernamen Devotron 3005 ein leidenschaftlicher DJ und wurde deshalb bei einem seiner Sets für das aktuelle Video der Heavy Lungs ausgewählt. Das recht knackige "Descend" stammt im Übrigen von der letzten EP der Band, "Abstract Thoughts" ist im Februar dieses Jahres erschienen.



Freitag, 13. April 2018

Tocotronic: Gemeinsame Sache

Tocotronic
Support: Ilgen-Nur
Tonhalle, München, 12. April 2018

Je länger man einer Band in unbedingter Hingabe folgt, desto mehr nimmt man deren Konzerte in einer zusätzlichen Dimension wahr. Es sind also nicht nur Sound, Licht, Körper, die Aufmerksamkeit beanspruchen, es läuft zu jedem der Songs vor dem inneren Auge auch ein ganz persönlicher Film ab. Zu welcher Zeit, an welchem Ort, unter welchen Umständen und mit wem hat man dieses Stück gehört, wo ist es in der Zeit verankert, mit welcher Bedeutung aufgeladen, was verbindet man damit? Nennen wir es nicht Content, sagen wir Erinnerung dazu. Tocotronic sind so eine Band, sie haben in den fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens eine so große Anzahl dieser erinnerungswürdigen Songs verfasst, daß die Auswahl der Setlist für einen Abend wie diesen nur unvollständig bleiben kann. Und so bleibt auch in der ausverkauften Halle des ehemaligen Partyghettos Kunstpark, das jetzt den etwas verträglicheren Namen Werksviertel trägt, so manche Seite des imaginären Fotoalbums geschlossen und eine andere wiederum öffnet sich überraschenden Einsichten.

Zu den Liedern des aktuellen Albums "Die Unendlichkeit" wird es, zumindest bei den Thirtysomethings im Publikum, noch nicht so viele Sehnsuchtsmomente und Vergangenheitsbezüge geben, dennoch sind sie natürlich auf dieser Tour in der Mehrheit und fügen sich, da sie ja selbst als Tagebuch der Band und vor allem des Sängers Dirk von Lowtzow konzipiert sind, bestens in das Restprogramm ein. Mit der Ouvertüre "Tanz der Ritter" aus Prokofjews Ballett "Romeo und Julia" untermauern die Herren aus Hamburg einmal mehr ihren Ruf als eigenwillige Meister des Diskurspop, danach wird es schnell, hart und laut und die Bildershow kommt ans Laufen - "Let There Be Rock", "Drüben auf dem Hügel", "Kapitulation". Die Menge gibt sich trotz Platzmangels und stickiger Luft angenehm entspannt, von Lowtzows gewohnt exaltierte Gutmütigkeiten werden ebenso begeistert begrüßt wie jedes einzelne der Stücke.

"Es gab noch keine Handys, es war alles Gegenwart", so heißt es im Titelsong der neuen Platte. Und tatsächlich - keine Wand aus hochgereckten Smartphones, auf die man vor der Bühne starren muß, statt dessen Halbgreise (so werden wir wohl andernorts despektierlich genannt), die unter ihresgleichen Spaß am Crowdsurfing finden, ausgelassener Jubel, ja: echte Dankbarkeit, auf beiden Seiten. Selbst die Parolen kommen von Herzen, man ist unter sich und weiß sich vereint in der seltsamen Haßliebe zum Heimatland: "Aber hier leben, nein danke!" Auf den Punkt deshalb von Lowtzows Liebeserklärung, Tocotronic wären nicht denkbar ohne ihre Anhänger, und jeder da unten weiß für sich, daß dieser Satz in der Umkehrung genauso gilt. Schnell noch eine WhatsApp an die Daheimgebliebenen, irgendwas mit "Sehnsucht" und "better than ever" (sorry, über die Schulter gespickt), dann besselten Blickes zurück in's Getümmel, noch mal ein Kübel Spott für "Freiburg" - aus. Sie haben, es war deutlich zu hören, "bis zum nächsten Mal" gerufen am Schluss. An uns soll's nicht liegen. Wir werden da sein.

Mit Verwunderung nehmen wir zur Kenntnis ... [6/18]

... dass sich auch in der Sparte Bandfotografie nicht wirklich Bahnbrechendes getan hat. Es ist ja nun mal so, daß Promotionbilder seit Anbeginn der Welt - oder besser: seit Anbeginn der Rock- und Popkultur, zur lästigen Pflichtübung gehören. Keine und keiner weiß so recht, wohin mit sich, aber es muß halt gemacht werden um der lästigen Fans und Verkäufe wegen und so sind über die Jahrzehnte Unmengen von Einzel- und Gruppenportraits entstanden und nur ein Bruchteil davon ist halbwegs originell oder unterhaltsam. Der Rest gliedert sich in die folgenden Kategorien (kein Anspruch auf Vollständigkeit): Gelangweilte Herumsteher bzw. -sitzer, knüppelharte Faustrecker und Zähnefletscher, gutgelaunte Spaßvögel, bierernste Nihilisten, düster verhangene Grabpfleger und sexuell maximal aufgeladene Testosteron-MonsterInnen.



Ja, und die Jumper. Dieses Phänomen hat eine gewisse Tradition in der Press-Pic-Historie, wird heutzutage allerdings hauptsächlich von männlichen Vertretern höherer Semester wahrgenommen, die ihre damit eigentlich auf ihren Elan, eher aber doch auf die Fähigkeit zu jugendlichen Spontanbewegung (Stichwort: Arthrose) hinweisen wollen. Bezeichnenderweise sah das zu Zeiten, da Stones, Beach Boys, Beatles oder auch Pink Floyd (letzte beide siehe oben) in der Gegend herumhüpften, noch recht komisch aus, heute aber, da es wie gerade seltsam deckungsgleich von Franz Ferdinand und Ash praktiziert, wirkt es immer ein wenig peinlich resp. albern. Darauf eine Runde House of Pain.