Donnerstag, 18. November 2010

Gehört_210



Kanye West „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ (Def Jam)
Spätestens seit dem Jahr 2005 und der Veröffentlichung von „Late Registration“ kommen alle, die HipHop buchstabieren oder eifrig Fieberkurven untersuchen wollen, an diesem Mann nicht mehr vorbei. Und das nicht nur, weil Kanye West so smart wäre oder sich zum rechten Zeitpunkt in Szene zu setzen weiß, sondern weil er das geschafft hat, woran viele vor ihm kläglich scheiterten: die erfolgreiche Verbindung von Kunst und Kommerz, von Attitüde, Ambition und Stil, weil er dem Rap das Tanzen beigebracht hat wie kein zweiter und damit – so vermessen das klingen mag – ein ganzes Genre, je nach Sichtweise, vom Totenbett gezerrt, aus der Schmollecke gelockt oder vor der Rolle des gelittenen Unterschichtenkaspers bewahrt hat.

Dumm ist der Mann also nicht, er ist politisch, ohne dass seine Rhymes zur tumben Proklamation verkommen, er ist hart, ohne dass er wie ein aufgepumpter Testosterongockel umherstolzieren muß und das einzige Extrem, dem er sich verschrieben hat, ist das der unbedingten Tanzbodentauglichkeit. Das kann man mögen oder auch nicht, der Erfolg jedenfalls gibt ihm recht und die Anerkennung, die er dadurch erfährt gilt ihm als die einzig gültige Währung.

Mittlerweile ist er, der das Prinzip der Kollaboration, also der vertonten Gästeliste, zum Standard und gleichzeitig zur Perfektion erhoben hat, ja mehr Konzertmeister als Performer und nach der betonten Künstlichkeit von „808s & Heartbreaks“ gab es nicht wenige, die den Zenit der musikalischen Kanyeisierung schon überschritten sahen. Doch auch wenn Ziehsohn Kid Cudi mit dem famosen „Man On The Moon I/II“ spätestens in diesem Herbst aus dem Schatten des Meisters herausgewachsen scheint, wird aller Voraussicht nach das maßgebliche HipHop-Album des Jahres 2010 dennoch „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ heißen.

Zur Sache also – was zuerst auffällt: Den Vocoder hat Mr. West dankenswerterweise für die aktuelle Platte größtenteils ungenutzt im Schrank gelassen. Ansonsten dürfte es aufgrund der gewaltigen Anzahl von Gästen im Studio ungemütlich eng geworden sein – neben den üblichen Verdächtigen Kid Cudi, Reakwon, RZA, Jay-Z und John Legend sind diesmal auch M.I.A. und die U.S.-Folkies von Bon Iver mit dabei. Einen so mittelprächtigen Beginn wie bei „808s & Heartbreaks“ (Say You Will) hat uns der Meister diesmal erspart – „Dark Fantasy“ geht auf direktem Wege in Hirn und Beine und gibt mit dem gewohnten Wortwitz („Sex is on fire, I’m the King of Leon-a Lewis“) und reichlich betörendem Singalong den idealen Einstieg. Der Killertrack „Power“ dient Mr. West, der sich ja gern mit allem und jedem über Kreuz legt, als bissige Abrechnung mit schwarzem Rassismus und anhaltender Obamamania – „You short-minded n-ggas’ thoughts is Napoleon, my furs is mongolian, my ice brought the goalies in, now I embody every characteristic of the egotistic ... No one man should have all that power“. „All Of The Lights“ ist ein satter Synthiefeger, „Monster“ wiederum hat seinen Namen mit Recht und ist recht oldschool geraten.

Wenig später dann der erste Höhepunkt: „All Appalled“, ein Song, so verdammt eingängig, dass er schon unters Betäubungsmittelgesetz fallen müßte – West klärt einmal mehr seine Rolle im Business: „N-ggas be writin’ bullsh-t like they gotta work, N-ggas going through real sh-t, man they outta work, that’s why I never gawd damn dance track, gotta hurt, that’s why I rather spit something that gotta perch.“ Auch zum zweiten Peak, dem neunminütigen „Runaway“, muß eigentlich nicht viel gesagt werden – das Piano-Opening genial, die Gitarren schmirgeln am Trommelfell, ganz feine Sache, der Text (s)eine Ohrfeige für die weibliche Begleitung: „Every bag, every blouse, every bracelet comes with a price tag, baby, face it ... I'm just young, rich, but your tasteless.“ Ganz am Ende noch eine Art trotziger, dunkler Monolog (Who Will Survive In America), sehr optimistisch wirkt das alles nicht: „America is now blood and tears instead of milk and honey“, fast scheint es, als wolle Kanye West jetzt zum Prediger umschulen – das Album jedenfalls sollte seine Gefolgschaft ordentlich vermehren, ein großer Wurf.
Höchstpunktzahl bei pitchfork.com - eine Eloge.
http://www.kanyewest.com/

Keine Kommentare: