Mittwoch, 12. September 2012

Eiskalter Engel

How To Dress Well
“Total Loss”
(Weird World)

Nicht wenige behaupten ja, mit der Ankunft dieser Platte könne man für 2012 getrost Inventur machen, in diesem Jahr werde also nichts mehr kommen, was von derartiger Bedeutung wäre. Frank Ocean, The XX und eben jetzt How To Dress Well, alles im Bestand – die neue von Flying Lotus müsse man halt im Bedarfsfall nachbuchen. Ganz so unangebracht ist diese Bemerkung in der Tat nicht, nimmt man The Weeknd und die Londoner von The Invisible noch hinzu, hat es in letzter Zeit einen nahezu befremdlich hohen Ausstoß an hochklassigem – naja, Electrosoul, synthetischem R&B, wie auch immer, gegeben. Dem nun Tom Krell alias How To Dress Well mit seiner zweiten Studioplatte die Krönungsmesse verpasst.

Genaugenommen fertigt der Mann aus Brooklyn ja keine Tanzmusik, nicht einmal im weiteren Sinne, sondern ätherische Choräle, näher dran an Antony Hegarty als sämtliche vorher Genannten. Dass Krell dem geheimnisvollen Sound in seinem Labor auch noch tonnenschwere Beats beimischt, erscheint eher wie ein Zugeständnis an all jene, die schon mit gierigem Blick und zitternden Fingern auf Mixfutter für die Nachtclubs dieser Welt warten. Wie schon auf seinem Debüt “Love Remains” verknüpft Krell auch beim Nachfolger abseitige und alltägliche Geräusche, Sprachsamples, klassische Orchesterinstrumentierung und wummernden, dunklen Bass mit atemberaubender Kunstfertigkeit, er schichtet, loopt, verfremdet, verschränkt, läßt auch mal weg – dazu sein fragiler Falsett, ein Magier.

Wirklich fröhlich– man hat es schon beim Titel das Albums ahnen können - ist das nicht, nicht das träge Stampfen bei “Cold Nites”, nicht mal das Fingerschnippen und die satten Drums bei “Running Back” – stets überläuft einen ein frostiger Schauer, wenn Krell als eiskalter Engel im Off das Zittern und Barmen zelebriert. Bei “Set It Right” bekommt das ganze sogar opernhafte Dimensionen, dass die Sache auf dem Grunde des Ozeans enden muss, überrascht dann niemanden mehr. Bei aller Zartheit eine zuweilen monströse Platte, nichts für die gemütlichen Stunden zu zwein, eher für’s einsame Hadern und Leiden an sich. Große Kunst. http://howtodresswell.com/

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